Der meiner Meinung nach zentralste Begriff der Homöopathie ist das, was man die Lebenskraft nennt. Möchte man die Homöopathie verstehen, muss man eine Vorstellung von dieser Kraft bekommen. Die Homöopathie lehrt, dass das ganze Leben Ausdruck von Lebenskraft ist. Alles, was in Erscheinung tritt, alles, was mit unseren Sinnen bzw. unserem Geist erfahrbar ist, ist ein Ausdruck dieses Potenzials. Dabei ist die Lebenskraft an sich nicht sichtbar, man beobachtet sie ausschließlich anhand ihrer Wirkungen.
Was für das Leben gilt, muss auch für die Arzneimittel gelten. Die Homöopathie lehrt hierzu, dass jedes homöopathische Medikament selbst Lebenskraft einer Substanz ist, aus der es hergestellt wurde. Was also ist unter dieser Lebenskraft zu verstehen?
Auf den ersten Blick mag es erstaunlich erscheinen, dass die Homöopathie mit unsichtbaren Kräften heilen könne. Dieser Umstand erweist sich bei genauerer Sicht gerade als die Ursache ihrer unglaublichen Heilkraft.
Lebenskraft aus physikalischer Sicht
Jeder der das Leben beobachtet wird feststellen, dass das Phänomen der Energie alle Bereiche des Lebens durchdringt. Ich denke zum Beispiel an Elektrizität, Magnetismus, Gravitation oder Licht. Nichts davon kann man unmittelbar erfahren. So wie Licht erst als Farbspektrum sichtbar wird, wird auch jede andere Energieform erst in ihren Wirkungen erfahrbar. Ob der Baum vor dem Fenster tatsächlich ein Baum vor dem Fenster ist, kann nicht gesagt werden. Das einzige, was man als Tatsache feststellen kann ist, dass Lichtwellen gebrochen werden und auf Sinnesrezeptoren treffen. Diese Impulse werden elektrisch weitergeleitet und es entsteht im Gehirn das Bild eines Baumes. Wo ist also der Baum? Im Geist oder vor dem Fenster? Entsprechend kann man jede andere Sinneswahrnehmung durchspielen, das Ergebnis einer solchen Untersuchung wird immer das Gleiche sein: Die Welt vermittelt sich ausschließlich durch Energie und tritt nur als ihre Wirkung in Erscheinung. Die Welt, die man sinnlich erfährt, existiert nicht aus sich selbst heraus.
Wenn solche Überlegungen schon eine Herausforderung für unsere heutigen Denkgewohnheiten darstellen, was muss dann erst in der Köpfen der Menschen vorgegangen sein, als Albert Einstein 1905 das erste Mal die mathematische Formel dafür niederschrieb, die Relativitätstheorie: E=mc2 Sie bedeutet, die gesamte Schöpfung ist Energie. Einstein beschrieb damit eine Wahrheit, die nicht mehr mit herkömmlicher Erfahrung übereinstimmte, sondern vielmehr im Widerspruch zu ihr zu stehen schien. Aber könnte ich behaupten Einsteins Theorie sei falsch, nur weil sie nicht mit meinen Denkgewohnheiten übereinstimmt? Als Christoph Kolumbus die neue Welt entdecken wollte, musste er Strafgefangene als Schiffsbesatzung rekrutieren, weil sich kein Matrose bereit erklärte, an diesem Himmelfahrtskommando teilzunehmen. Alle wussten damals mit Gewissheit, dass die Erde eine Scheibe sei und an ihrem Rand Schiff und Besatzung ins Verderben stürzen würden. Galileo Galilei wäre wohl von der Inquisition verbrannt worden, hätte er nicht von dieser offensichtlich unsinnigen Behauptung Abstand genommen, die Erde würde um die Sonne kreisen. Konnte doch jedes Kind sich davon überzeugen, dass die Sonne im Osten auf- und im Westen untergeht. Wer kreiste hier für jeden offensichtlich um wen? Interessanterweise konnten sowohl Galileo Galilei als auch Johannes Kepler, Mathematiker und Astronom, zu Beginn des 17. Jahrhunderts mathematisch, also per logischer Schlussfolgerung beweisen, was Nikolaus Kopernikus als sogenanntes heliozentrisches Weltbild 1509 als Hypothese aufgestellt hatte - der damaligen Denkgewohnheit seiner Zeitgenossen vollständig widersprechend. Es benötigte weitere Jahrhunderte, bis sich im kollektiven Bewusstsein der Menschheit das kopernische Weltbild schließlich verselbständigte.
Wenn Kopernikus mit seiner Behauptung letztlich Recht behielt, könnte es auch für uns heute von Vorteil sein, mehr unserer Logik zu folgen und nicht blind einer Denkgewohnheit. Logische Schlussfolgerung bringt uns zumindest an den Rand der Erfahrung der Wahrheit, die andere hält uns definitiv von der Wahrheit fern. Logik ist sicherlich nicht alles. Man könnte unendliche Zeiten damit verbringen theoretische Beweise und Abhandlungen zu ersinnen darüber, was Süße ist. Das konkrete Wissen darüber entsteht erst dann, und dann unmittelbar, wenn man die Erfahrung macht, indem man eine Süßigkeit auf seiner Zunge zergehen lässt. Aber man kann sagen, dass Logik in jedem Fall sinnvoller ist als jede Form von blinder Gewohnheit und da sich unser Geist ständig im Rahmen von Gewohnheiten, Konzepten und Ideologien bewegt, ist Logik ein nützliches Hilfsmittel, um diese Konzepte als Konzepte zu enttarnen und über die Grenzen dieser Denkgewohnheiten hinauszuschauen.
Ein fest verankertes Denkkonzept der heutigen Zeit ist der Glaube an eine Welt, die funktioniert wie ein Schweizer Uhrwerk. Dies ist ein Konzept, das den Aspekt von Energie unzureichend beschreibt. Teile der heutigen Naturwissenschaft basieren immer noch auf diesem Modell, ebenso wie Bereiche der heutigen Schulmedizin. Isaak Newton, auf den dieses mechanistische Weltbild zurück geht, schrieb 1686 in seiner Naturlehre: “In der Experimentalphysik leitet man Sätze aus Erscheinungen ab und verallgemeinert sie durch Induktion“. Es geht also um die Vermessung des Sichtbaren, um dann daraus Rückschlüsse auf allgemeine Gesetzmäßigkeiten zu ziehen. Newtons Hoffnung war, damit alle Erscheinungen des Lebens berechnen und verstehen zu können. Sein Weltbild basierte auf drei Säulen, die jedem bekannt sind und immer noch dem heutigen „gesunden Menschenverstand“ entsprechen:
Newton selber stellte damals bereits fest, dass die Welt so nicht funktioniert. Er war in der Lage zu berechnen, dass Gravitation eine Kraft ist, die mit der Entfernung der Körper abnimmt, aber theoretisch nie Null wird. Ihm war durchaus bewusst, dass dies bedeutete, dass sich die Gravitation von Objekten durch das ganze Universum ausbreitet. Es war ihm aber unmöglich, diese Erkenntnis in sein mechanistisches Weltbild zu integrieren und so ignorierte er diese Tatsache, damit sein Konzept nicht zusammenbrach. Bei genauerer Auseinandersetzung erkennt man, dass bei aller Würdigung seiner bahnbrechenden Leistungen im Bereich der Mathematik und Physik doch viele Ungenauigkeiten auffallen. Das schmälert auf keinen Fall Newtons Verdienste um die Wissenschaft. Wie immer muss der erste Schritt vor dem zweiten gemacht werden, und ohne seine Grundlagenforschung wäre das heutige Weltverständnis nicht denkbar.
Heutzutage wissen wir, dass kein Faktor, kein Objekt und kein Lebewesen autonom ist. Es gibt immer unendlich viele zeitgleiche Einflüsse. Atome oder Objekte als isoliert zu betrachten, ist nicht mehr zulässig. So ist beispielsweise die Flugbahn eines Fußballs, der von einem Spieler getreten wird, niemals exakt berechenbar, denn keiner der in den Prozess involvierten Faktoren ist autonom und isoliert. Weder der Spieler, noch der Ball, ebenso wenig der Reibungswiderstand von Boden und Luft, nicht die Schwerkraft des Balles, der Erde und aller anderen Objekte, bis hin zum Einfluss sämtlicher Planeten auf diesen Vorgang.
Es besteht auch keine Linearität während dieses Vorgangs, denn alle Teile bedingen sich gegenseitig. Wir sprechen dabei von Interdependenz. Ein kugelförmiges Objekt wird erst dann zum Ball, wenn es einen Spieler gibt. Der Kontext macht die Kugel erst zum Ball. Wie bei jedem Organismus, vom Einzeller bis zum Menschen, vom Ökosystem einer Bakterienkultur bis hin zum komplexen System unseres Planeten, sind die Teile und das Ganze nicht trennbar, so wie Organe nicht von einem Organismus trennbar sind.
Bis in die heutige Zeit hat sich dieses mechanistische Weltbild Newtons tief in den Köpfen der Menschen verankert, auch die Schulmedizin ist davon nicht ausgenommen. Seit dem 18. Jahrhundert praktizieren ihre Vertreter nach dem Prinzip, einzelne Bestandteile aus einem Organismus herauszulösen, sie dann als autonome und isolierte Faktoren mit dem Ziel zu analysieren, die derart examinierten Körperareale schließlich als krankhaft oder gesund zu klassifizieren. Auf diese Weise bricht die Schulmedizin den natürlichen Zusammenhang auf und erschafft eine künstliche Situation. Diese Vorgehensweise hat therapeutische Effekte, die zum Teil durchaus gewollt sind, aber niemals heilsam sind.
Bei dieser mechanistisch geprägten Vorgehensweise wird dem Leben ein theoretisches und veraltetes Wissenschaftsmodell übergestülpt mit dem Effekt, dass die Schulmedizin die Wirkungen außer Betracht lässt, die eine Behandlung von vermeintlich nicht miteinander kommunizierenden, autonomen Teilen auf den Gesamtorganismus hat. Diese Heilkunst läuft Gefahr, so leider letztlich den Sinn und die Bedeutung des Lebens zu verlieren.
Ich möchte hierfür ein anschauliches Beispiel nennen: In der Evolutionsforschung wird mittlerweile angenommen, dass Mitochondrien, die die Kraftwerke jeder einzelnen Zelle unseres Organismus sind, aus Bakterien entstanden sind. Diese gingen eine symbiotische Beziehung zu anderen zellulären Strukturen ein, um sie mit Energie zu versorgen. Der viel zu häufige Gebrauch von Antibiotika bei jeder geringfügigen Infektion kann hier einen verheerenden Effekt haben. „Antibiotika töten häufig zusammen mit den Bakterien auch die Mitochondrien ab (…). Eine Studie konnte zeigen, dass bei Frauen, die vor ihrem 18. Geburtstag mindestens acht Antibiosen erhalten hatten, die Brustkrebsrate dramatisch gestiegen war.“ (Quelle: Ben Johnsen, Der Healing Code, Rowolth Taschenbuchverlag, Hamburg 2012, S.93). Es ist bekannt, dass Antibiotika zunächst einen scheinbar wünschenswerten Lokaleffekt bei akuten bakteriellen Erkrankungen herbeiführen, sie können aber im Gesamtzusammenhang eines Organismus große Probleme nach sich ziehen.
Ich möchte ganz ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich auf keinen Fall behaupten möchte, Schulmedizin sei falsch. Tatsache ist aber, dass sie auf die ihr eigene Weise funktioniert und man bei genauer Betrachtung ihres Heilprinzips feststellen muss, dass die heutige Schulmedizin nicht im Einklang mit den Gesetzen der Natur wirkt. Sie kann daher logischerweise nicht die Ordnung dieser Gesetze wiederherstellen, wenn sie aus dem Gleichgewicht geraten sind. Mit diesem Umstand sollten sich im Hinblick auf das Anstreben von Heilung Behandler und Patienten gleichermaßen auseinandersetzen.(siehe auch: Von Gegensätzlichem und Ähnlichem)
Vom Atom zur Energie
Dinge erscheinen durchgängig anders als sie in Wirklichkeit sind. Könnte man die gesamte physikalische Masse eines Menschen räumlich verdichten, d.h. alle Protonen und Neutronen der Atome, erhielte man einen Körper von der Größe eines Stecknadelkopfes. Jetzt könnte man teils erstaunt, teils erschreckt innehalten und hoffen, dann wenigstens noch dieser kleine Stecknadelkopf zu sein. Aber auch das trifft noch nicht die ganze Wahrheit. Vertreter der exakten Naturwissenschaften wissen mittlerweile, dass ein „ Atom nie zu isolieren oder in Ruhezustand zu bringen ist. Es ist Teilchen, aber auch Schwingung. Es ist Energieverdichtung (ein Energieknoten). Es hat das Potential, sich als Substanz oder als Energie zu verhalten. Es lässt sich nicht vorher bestimmen. Die Chancen stehen theoretisch 50 zu 50“, ob sich Energie zu Materie verdichtet oder als reine Energie bestehen bleibt. (Quelle: Armin Risi, Die Entdeckung der Quantenphysik, www.armin-risi.ch). Das bedeutet, dass auch der Stecknadelkopf, der gerade noch unsere existenzielle Zuflucht war, sich bei genauerem Hinsehen in „Nichts“ aufgelöst hat. Anstelle des Stecknadelkopfes taucht hier wieder der Begriff Energie auf und damit die Beschreibung von dem, was Hahnemann unter Lebenskraft verstanden haben könnte. Energie, die in der Lage ist, sich zu Materie zu verdichten. Energie, die die wahre Natur von Materie ist. Oder anders gesagt: Materie, die in Erscheinung tretende Energie ist. Ein Erscheinen aber, das so flüchtig ist, dass die Faktoren von denen ihr Erscheinen abhängt, mathematisch nur als Wahrscheinlichkeit berechnet werden können. Wer sagt, er glaube nur an das, was er anfassen und mit eigenen Augen sehen kann, wer somit glaubt, Materie sei etwas Festes, Stabiles und Verlässliches, wird an dieser Stelle erschüttert.
Selbst wenn man so tut, als sei Materie wenigstens für einen kurzen Augenblick etwas Stabiles, entgleitet sie einem trotzdem. Ein Atom und damit auch jedes Molekül, jede Struktur, jeder Organismus, unser Planet, das Universum bestehen zu 99,99999 Prozent aus leerem Raum. Einstein sagte: „Physische Objekte sind nicht im Raum, sondern räumlich ausgedehnt. Somit verliert der Begriff des leeren Raums seinen Sinn.“ Nicht mehr Materie ist der Referenzpunkt meiner Existenz, sondern der Raum, der unendlich dicht und mit unendlich viel Energie angefüllt zu sein scheint. Ein Raum, der alles verbindet, der von überall Informationen sammelt, um sich selbst zu organisieren und dabei eine Komplexität erschafft, die sich in Galaxien, dem Universum, Planeten und einer Menschheit ausdrückt. Um eine Vorstellung von der Energiedichte im leeren Raum zu erhalten, führte Max Planck eine nach ihm benannte Konstante ein. Sie „bekam schnell den Spitznamen (…) die `Vakuum-Katastrophe.´ Im Folgenden möchte ich eine Vorstellung davon geben, wie dicht dieser Wert ist: Wenn man alle Materie nehmen würde, die wir in unserem Universum heute beobachten, all die Milliarden von Galaxien mit Milliarden von Sternen, von denen die meisten sehr viel größer sind als unsere Sonne, und wenn wir all das in einen Quadratzentimeter Raum stopfen würden, dann wäre die Dichte des Würfels nur 1055 Gramm. Dies ist immer noch rund 38 Größenordnungen weniger dicht, als die Dichte des Vakuums!“ (Quelle: Nassim Haramein, Die Natur der Realität, Nexus Magazin Vol. 17/4).
Äußerst spannend ist, dass es 1948 dem holländischen Physiker Hendrik Casimir schließlich tatsächlich gelang eine Konfiguration zu berechnen, die letztlich den experimentellen Beweis dieser Vakuum-Energie ermöglichte! Es existiert also erwiesenermaßen in unserem Universum ein unvorstellbar großes Energiepotential, das unsere Welt in einem anhaltenden Schöpfungsprozess erzeugt - und damit auch uns Menschen. Eine Kraft, die ausschließlich in ihren Wirkungen als Manifestation in Erscheinung tritt. Die Kraft, die Hahnemann in seinen Worten wohl die Lebenskraft nannte.
Dass wir Menschen Dinge von der Seite der Erscheinungen aus betrachten, ist nicht verwunderlich. Schließlich ist man unter anderem auch körperliches Wesen. Das sollte aber nicht voreilig zu dem Schluss führen, man wäre nichts anderes als eine Manifestation im Rahmen eben jener erscheinenden Welt. Die Welt der Erscheinungen ist begrenzt und extrem vergänglich. Die Dimension des Raums, und damit der Energie, scheint grenzenlos. Dass sich Dinge manifestieren, so und nicht anders, scheint von Gewohnheiten des Geistes abzuhängen. Einem Geist, der selber eine Wirkung dieser Energie ist, oder, wie Hahnemann sagen würde, eine Wirkung von Lebenskraft ist. „Elektronen manifestieren sich erst dann in der Raumzeit, wenn wir sie als Teilchen beobachten, ansonsten existiert nur die Welle“ (Quelle: Prof. Amit Goswami, Das bewusste Universum, Verlag Lüchow, 2002).
Was bedeutet all dies für das Streben nach Heilung? Krankheit ist eine Erscheinung, die sich durch Symptome ausdrückt. Wie alle anderen Erscheinungen auch ist Krankheit demnach logischerweise ebenfalls eine Wirkung von Lebenskraft. Wenn die Welt, die man wahrnimmt, abhängt von den Gewohnheiten des eigenen Geistes, also von der eigenen Biographie, dann muss es einem konsequenterweise möglich sein sie eigenverantwortlich zu verändern. Die tiefe Bedeutung dieser Feststellung ist, dass man bei der Erforschung seiner Welt als etwas Äußerem letztlich wieder in sich selbst zurückfällt.
Diese Sichtweise bürdet dem Individuum ein hohes Maß an Selbstverantwortung auf, schenkt ihm gleichzeitig aber auch eine ungeahnte Freiheit! Da das Potential der Lebenskraft unendlich zu sein scheint, ergeben sich daraus atemberaubende, das heißt unbegrenzte Möglichkeiten. Das gilt für jede Begrenzung, die man als Mensch erfährt, so z.B. für das Konzept von begrenzten Energieressourcen oder vermeidlich unheilbaren Krankheiten. Natürlich bewegen wir uns alle in der Dimension von Zeit und Raum. Dinge müssen sich entwickeln. Es hat offensichtlich lange Zeit gebraucht, bis niemand mehr anzweifelte, dass die Erde eine Kugel und keine Scheibe ist und die Sonne der Fixstern, um den alle anderen Planeten unseres Sonnensystems kreisen. Evolution benötigt immer Zeit. Wichtig ist aber grundsätzlich zu erkennen, dass sie vor allem eine Evolution des Geistes ist. Evolution bedeutet für mich Entwicklung der Menschheit hin zu Weisheit und Glück für jeden. Ein ganz wesentlicher Faktor von Glück ist natürlich Heilung!
Man muss sein Potential erkennen, dann kann man es zu seinem und letztlich zum Wohle Aller einsetzen. Das hört sich nicht allzu kompliziert an, aber auf der Ebene menschlichen Lebens ist genau dies häufig ein Drama. Wie beharrlich hält jeder von uns an gewohnten Denk- und Verhaltensweisen fest, selbst wenn man erkannt hat, dass sie leidvoll sind. Loslassen, sich für ein umfassenderes, wahrheitsgemäßeres Verständnis seiner selbst und des Lebens zu öffnen, ist häufig so, als müsse man in einen bodenlosen Abgrund springen. Es ist eine Tatsache, dass man erst springen, also loslassen muss, bevor man etwas Neues ergreifen kann. Jeder weiß aus eigener Erfahrung, wie unvermeidlich, aber auch leidvoll diese Evolution sein kann. Das Leiden eines Lebewesens auf das geringstmögliche Maß zu beschränken und die Entwicklungsgeschwindigkeit auf das größtmögliche Maß zu erhöhen ist die verantwortungsvolle Aufgabe jeder wahren Heilkunst.
Lebenskraft in der Homöopathie
Die Lebenskraft eines Organismus offenbart sich in ihren Wirkungen auf der geistigen, psychischen und körperlichen Ebene des Individuums. Wie schon erwähnt, ist die sichtbare Welt eine erscheinende Welt, die ihre Ursache nicht in sich selber hat, sondern die Wirkung ist von etwas Dahinterliegendem.
Das Wahrgenommene ist eine Realität. Aber lediglich eine subjektive Wahrnehmungsrealität. Diese subjektive Realität dennoch zum Wohle der Menschen zu nutzen, lehrt insbesondere die Homöopathie als empirische Wissenschaft. Da man den Zustand der Lebenskraft mit den uns Menschen zur Verfügung stehenden Sinnen nicht unmittelbar erfassen kann, sind die Symptome als deren Ausdruck so immens wichtig. Die Aufgabe eines Homöopathen ist, die sogenannte Symptomentotalität eines leidenden Menschen so exakt wie möglich zu erfassen, da sie den präzisen Zustand seiner Lebenskraft abbildet. Wer heilen will, muss aber die Ursache behandeln, also die aus der Balance geratene Lebenskraft und nicht deren Wirkungen. Die Wirkungen bzw. Symptome dienen hierbei lediglich als Mittel zum Zweck der korrekten Arzneimittelwahl.
Paracelsus (1493-1541), der als einer der bedeutendsten Ärzte der Menschheitsgeschichte gilt und wie Hippokrates mit seinen Erkenntnissen den Begründer der Homöopathie, Samuel Hahnemann, entscheidend inspirierte, stellte schon damals die Forderung auf, dass ein wahres Heilmittel immer ungiftig und nebenwirkungsfrei sein sollte. Dieser Therapieansatz resultierte auf dem von ihm beobachteten Prinzip, dass alle Krankheiten einen über das Körperliche hinausgehenden immateriellen Ursprung haben: „Achtet darauf, damit ihr nicht den Leib mit Arzneien behandelt, denn das ist vergeblich. Behandelt aber den Geist, dann wird der Leib gesund. Denn der Geist ist krank und nicht der Leib. (...) Je weniger Leibs eine Arznei, desto höher steht sie in Tugend.“ (Paracelsus I/15).
In der heutigen Zeit gibt es mannigfaltige Begriffe und Erklärungsmodelle für Lebenskraft. Chi, Ki, Prana, lung - diese Begriffe aus unterschiedlichen Kulturräumen stehen alle für diese Lebenskraft. Wie beschrieben lehrt die Physik, dass Materie eine Erscheinungsform von Energie sei (siehe Mayers Lexikon der exakten Wissenschaften). Ein Biologe spricht von Mikrozymen (Antoine Béchamp) oder Biophotonen (Fritz-Albert Popp), ein Psychologie redet über Bewusstsein. In der christlichen Theologie als einer Vertreterin der geistigen Ebene bzw. in Teilbereichen der westlichen Philosophie wird von einer Seele gesprochen.
Jede Wissenschaft hat ihre eigene Sprache, drückt in der Essenz aber immer das Gleiche aus. Auch jede der drei Ebenen, auf denen sich die Lebenskraft bei einem Lebewesen ausdrückt, hat ihre eigene Sprache. Lebenskraft drückt sich auf der körperlichen Ebene in der Sprache des Körpers, auf der psychischen Ebene in der Sprache der Psyche und auf der geistigen Ebene in der Sprache des Geistes aus. Die Beziehungen dieser Ebenen untereinander sind Analogien, nicht Kausalitäten. Das ist wichtig zu unterscheiden, weil in der heutigen Schulmedizin unzulässiger Weise zwischen Wirkungen häufig Kausalbeziehungen hergestellt werden.
Kausal ist lediglich die Beziehung der Lebenskraft zu ihren Wirkungen. Sie drückt im Krankheitsfall ihr Ungleichgewicht auf den verschiedenen Manifestationsebenen in der jeweiligen Sprache aus, die der Natur der jeweiligen Ebene entspricht. So ist z.B. Bluthochdruck, als körperliches Symptom analog zum Zorn, der Psyche, analog zum Geisteskonzept des Ehrgeizes. Alle drei Ebenen sind Wirkungen der einen gemeinsamen Ursache. Das mechanistische Weltbild verleitet dazu, hier Kausalitäten zu formulieren. Dann behauptet man beispielsweise, Ehrgeiz sei die Ursache für Zorn und der führe dann zu Hypertonie. Das stimmt aber nicht. Natürlich gibt es zwischen diesen Effekten Korrelationen, aber eben keine kausalen. Wenn ich Wirkungen zu Ursachen mache, dann verzerrt sich der Sinn des Lebens immer mehr, bis man schließlich das Leben und später dann irgendwann auch sich selbst nicht mehr versteht. Die daraus zwangsläufig resultierende Konsequenz wird heutzutage immer deutlicher: Menschen neigen dazu, die Eigenverantwortung für Körper, Seele und Geist an vermeintlich qualifiziertere Institutionen und Personen breitwillig und teilweise vollständig abzugeben.
Paracelsus und auch Hahnemann besaßen die enorme geistige Kapazität, schon zu ihrer Zeit Lebenskraft als Ursprung der Erscheinungen des Lebens klar zu erkennen und zu beschreiben. Für einen heutigen Geist ist es grundsätzlich keine allzu große Herausforderung mehr, dieses Wissen nachzuvollziehen. Die zeitgenössischen Naturwissenschaften bestätigen durchaus immer detaillierter jene Zusammenhänge wie Leben funktioniert, nur verkümmert die Bereitschaft der Gesellschaft einen Bezug zwischen diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen und dem persönlichen Dasein herzustellen.
Die Symptomentotalität eines Lebewesens, also die Summe aller Zeichen und Symptome der Lebenskraft, ist nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit Pathologie. Ihr Erfassen spiegelt zunächst einmal das aktuelle Befinden der Lebenskraft dieses Individuums wieder. Im Grunde muss man hier erst einmal von der Persönlichkeit, der Individualität oder Einzigartigkeit eines Individuums reden.
Die Einzigartigkeit des Lebens ist, wie schon erwähnt, absolut. Unter den sieben Milliarden Menschen gibt es nicht zwei, die sich exakt gleichen. So könnte die Einzigartigkeit die Bestimmung des Individuums sein und seine Aufgabe, diese Bestimmung zum Wohle aller in die Gemeinschaft einzubringen. Erst wenn es dabei Probleme gibt, braucht es die Homöopathie. Sobald der Einzelne leidet, kann der Homöopath mit Hilfe der Symptomentotalität ein korrektes, das heißt ein präzise mit dieser Totalität übereinstimmendes Arzneimittel finden, das sein Leiden heilen wird. Die Homöopathie behandelt niemals Krankheiten als die Auflistung bestimmter leidvoller Lokalsymptome. Die Homöopathie behandelt immer nur den ganzen Menschen. Deswegen sind für homöopathische Behandlungen dynamische Arzneimittel absolute Bedingung und niemals Medikamente materieller bzw. biochemischer Natur. Sind Medikamente materieller Natur, sind sie keine Heilmittel, dann haben sie einen Effekt auf der materiellen Ebene und dies wäre eine Behandlung nur der Wirkungen. Wer aber heilen will, darf so nicht behandeln. Ein homöopathisches Arzneimittel ist selber Lebenskraft und hat daher einen Effekt auf die Lebenskraft des Individuums.
Durch das von Hahnemann entwickelte, äußerst geniale System der Dynamisierung von Arzneimitteln jenseits von biochemischer Beschaffenheit wird es dem Homöopathen ermöglicht, unmittelbar die Kausalebene eines erkrankten Menschen zu behandeln. Kann die Ursache des Leidens behoben werden, besteht nicht länger dieses Ungleichgewicht der Lebenskraft und die krankhaften Wirkungen auf der Ebene des Körpers, der Psyche und des Geistes lösen sich auf. So geschieht mit dem korrekten homöopathischen Arzneimittel wahre Heilung.
Lebenskraft ist wie der Flaschengeist aus Aladins Wunderlampe. Wird sie nicht gemeistert und mit Bewusstheit gelenkt, kann sie zu einer sehr zerstörerischen und unheilvollen Macht werden, die großes Leid verursacht. Die Kulturgeschichte und das Schicksal jedes Einzelnen legen davon ein trauriges Zeugnis ab.
Die Lebenskraft ist wie ein unendlich kraftvolles Tier, das aber keine Intelligenz besitzt. Es hängt vom klugen Reiter ab, wohin sich diese Kraft letztendlich bewegt. Egal welchen Impuls man der Kraft gibt, sie wird diesem getreu folgen. Je mehr Weisheit man besitzt, desto harmonischer, ruhiger und befreiender wird die Lebensreise. Je weniger Weisheit man besitzt, desto unruhiger und gefährlicher wird der persönliche Weg. In diesem Fall kann es sein, dass man als Reiter abgeworfen wird, da man unfähig war, dieses Kraftpotenzial zu lenken. Zur Verdeutlichung kann man sich bildlich Lebenskraft in der Gestalt eines Tigers vorstellen. Wird die Lebenskraft benutzt das Leben zu verletzen, kultiviert man Egoismus und Hass, dann wird der Tiger immer wilder, bis er den Reiter also abwirft, über ihn herfällt und schließlich tötet.
Bemüht man sich jedoch, Eigenverantwortung zu übernehmen und wird dadurch immer erfolgreicher darin seine Existenz zu meistern, dann verwendet man dieses Potenzial aus Freiheit, die Lebenskraft zum höchst möglichen Glück für sich selbst und aller anderen Lebewesen einzusetzen. Dann, so heißt es, bringt der Tiger einen an jeden Ort - an jeden denkbaren und jetzt noch undenkbaren, egal in welcher Welt. Dann wird alles möglich.